Jens von Fintel
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Die Sieger der Geschichte machen in Philosophie

Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte

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Jens von Fintel

Kein Apokalyptiker, eher ein waschecht Integrierter meldete sich da vor drei Jahren im US-amerikanischen Magazin National Interest zu Wort und verkündete das "Ende der Geschichte". In diesem Frühjahr nun hat Francis Fukuyama, Stellvertretender Direktor des Policy Planning Staff im US-State Department, ein umfangreiches Buch vorgelegt, in dem er seine damaligen Thesen auf über 500 Seiten streckt und zu untermauern sucht.

Worum geht es? Am Ende des 20. Jahrhunderts, so Fukuyama, habe sich die "liberale Demokratie" als einzige Form der politischen und gesellschaftlichen Organisation mit Anspruch auf universale Geltung gegen ihre Konkur-renten behaupten können: der Faschismus wie Kommunismus und verschiedene Spielarten des Autoritarismus haben abgedankt, die liberale Demokratie stelle die "endgültige menschliche Regierungsform" dar. Die Geschichte als 'ideologische Evolution' der Menschheit sei somit - zumindest für die westlichen Demokratien - abgeschlossen, das "Ende der Geschichte" erreicht.

Fukuyama verweist auf den Zusammenbruch autoritärer Regime in Südeuropa, Lateinamerika, Ostasien und zuletzt in Osteuropa und der Sowjetunion. Diese weltweite liberale und demokratische Revolution seit Mitte der 70ger Jahre sei nichts weniger als zufällig, sie sei von historischer Notwendigkeit. So wie die Durchsetzung des Kapitalismus in der Logik der naturwissenschaftlichen Entwicklung liege - die "Marktwirtschaft" ist bei Fukuyamas Konzept der liberalen Demokratie stets mitzudenken -, so dränge die 'menschliche Natur', vor allem das "Streben nach Anerkennung", auf die Verwirklichung der Demokratie. Diese beiden geschichtlichen Mechanismen, die moderne Naturwissenschaft und die anthropologische Konstante des "Strebens nach Anerkennung", machen es auch nach Fukuyama möglich, von der Geschichte als einem sinnvollen und zielgerichteten Prozeß zu sprechen.

Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? Kindler Verlag, München: 1992. 512 S. 42,- DM. [= The End of History and The Last Man. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Ute Mihr und Karlheinz Dürr.]

Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. Cover.

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, 6/92, S. 45.

Soweit in Kürze die Kernthesen Fukuyamas. Sie kommen daher mit hehrem geschichts- und staatsphilosophischem Anspruch, und alles, was in der westlichen Philosophiegeschichte Rang und Namen hat - von Sokrates bis Nietzsche - wird als Zeuge berufen. Doch letztlich: der Kaiser ist splitternackt. Da sind es weniger die kleinen Schnitzer, die ins Auge fallen: daß Kant die Geschichte als objektiv sinnhaften und zielgerichteten Prozeß verstanden habe, wie Fukuyama es nahelegt, zeugt von souveräner Ignoranz kantscher Vernunftkritik; Fukuyamas Argwohn, Marx möchte die Bedeutung der Arbeitsteilung für den Prozeß der ökonomischen Modernisierung unterschätzt haben, ist - zumindest in dieser Form - bestenfalls seltsam, um von Merkwürdigkeiten in der Hegel-Rezeption ganz zu schweigen.

Fragwürdiger noch ist insgesamt Fukuyamas Versuch einer nun wieder konservativ gewendeten teleologischen Geschichtsdeutung. Denn nicht erst seit dem Scheitern der marxistischen Teleologie oder der post-strukturalistischen Kritik an den großen "Metaerzählungen" nimmt sich solches Unterfangen derb anachronistisch aus.

Doch nicht allein dort, wo Fukuyama "philosophisch" argumentiert zeigen sich erstaunliche Schwächen. Erschreckender die Unzulänglichkeiten seiner Analyse der gegenwärtigen weltpolitischen Situation - wir erinnern uns: der Autor ist ein doch mehr oder weniger hochrangiger Berater der US-Administration. Nur ein Punkt sei hier herausgegriffen: von ökologischen Problemen nimmt Fukuyama allenfalls am Rande Notiz. Dort wo er es tut, fragt sich der Leser, ob hier umfassende Ahnungslosigkeit oder grenzenloser Zynismus am Werke ist: "Die schlimmsten Umweltzerstörer sind die Entwicklungsländer, gleichgültig ob es sich um die Lagerung von Giftmüll oder die Abholzung der Regenwälder handelt".

So könnte man denn verärgert, aber durchaus ruhigen Gewissens dies Buch beiseite legen und vergessen, wenn nicht einiges - und gewichtiges - gegen eben dies spräche. Da ist vor allem der Erfolg Fukuyamas auf dem Buchmarkt und - wenn auch zwiespältig - bei einigen Rezensenten. Kann es sein, daß Fukuyama durchaus den Nerv der Zeit mit seinen Thesen getroffen hat, daß hier, mit all seinen kleinen Klug- und großen Dummheiten, das Selbst- und Weltbild des 'Siegers der Geschichte' artikuliert wird? Und warum überhaupt, so ist man versucht zu fragen, schreibt jemand eine Apologie des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie, zu einer Zeit, da Kapitalismuskritik sich in nennenswertem Umfang allenfalls noch an Fehl-entwicklungen der "Marktwirtschaft" abarbeitet, ohne grundlegende Systemkritik zu leisten, zu einer Zeit, in der grundsätzliche Kritik an der bürger-lichen Demokratie kaum noch zu finden ist?

Für Fukuyama wird die Welt auf absehbare Zeit in zwei Teile zerfallen, in einen posthistorischen Teil der liberalen Demokratien - dem Sieger der Geschichte - und einen noch in der Geschichte verharrenden Teil, in dem sich mittelfristig und regional begrenzt Unappetitliches wie religiöser Fundamentalismus, Neuer Nationalismus und neue Formen des Totalitarismus Geltung verschaffen werden.

Es ist dieser Aspekt der Weltsicht Fukuyamas, der auf die, wie mir scheint, eigentliche Funktion seiner Überlegungen weist. Fukuyama bemüht sich mit seinem "Ende der Geschichte" um die theoretische Grundlegung einer Konzeption der new world order aus konservativ amerikanischer Sicht. Die von ihm konstruierte, geschichtliche Legitimation der westlichen Demokratien definiert eine Position der historischen (oder transhistorischen) Überlegenheit, von der aus - mit durchaus missionarischer Haltung und Methode - Weltpolitik betrieben werden kann.

Die Diskussion um den Entwurf einer Neuen Weltordnung, die mehr sein soll als nur eine modisch transformierte pax americana, wird so nicht umhin können, sich auch mit den fragwürdigen Thesen Fukuyamas auseinanderzusetzen.

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