Jens von Fintel
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Theodor von Neuhoff. König von Korsika.

Zum Todestag des westfälischen Abenteurers

Von
Jens von Fintel

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Nichts war ihm geblieben vom Ruhm und Glanz früherer Tage, dem alten Mann, der da völlig mittellos und vereinsamt im winterlichen Londoner Armenviertel Soho sein karges Totenbett fand. Zuletzt kaum mehr als ein Bettler, hatte er doch zwanzig Jahre zuvor halb Europa in Atem gehalten und war für einen langen Sommer König von Korsika gewesen.

Theodor von Neuhoff stammte aus einem alten westfälischen Adelsgeschlecht, sein Vater, ein früh verstorbener Offizier, die Mutter Französin aus bürgerlichem Hause. Er selbst war mit wachem Verstand und einem außergewöhnlichen Redetalent begabt, aber, so sein Biograph Hans D. Mittorp:

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Er war nicht der Erbe zu Haus. Also da stand ein junger, unternehmender Adliger mit guten Anlagen und Freiheitsdrang - die Freiheit spielte ja bei ihm eine sehr große Rolle - und er sträubte sich innerlich, in Westfalen da die zweite oder dritte Rolle zu spielen.
[O-Ton Interview 0:22]

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Der Ausbruch aus der vorgezeichneten Laufbahn als eher unbedeutender westfälischer Landedelmann hatte freilich auch einen handfesten äußeren Anlaß. Der noch jugendliche Neuhoff ersticht im Duell seinen Nebenbuhler um die Gunst einer - wie die Quellen berichten - ausnehmend schönen Professorentochter. Er muß aus Deutschland fliehen, erreicht Paris, wo ihm seine Mutter eine Stelle als Page am französischen Hof vermitteln kann.

1:28  

[Musik: A. Vivaldi, Conc. G, Allegro, RV 532-3, 19 sec., fade out: Guitar Concertos, Naxos 8.550483]

1:47  

Hier in Paris lernt Neuhoff die Feinheiten der höfischen Etikette, die Grundlagen des militärischen Handwerks - und die Laster der Hauptstadt kennen. In allen dreien bringt er es zu einiger Meisterschaft.

So ausgestattet, macht er eine wechselhafte, grenzübergreifend europäische Karriere: Er wird Geheimdiplomat in schwedischen, später spanischen Diensten, macht ein Vermögen mit Finanzspekulationen und verliert es, versucht sich in Amsterdam als Großkaufmann, muß aber schließlich, von Schulden bedrängt, ein erstes Mal nach London fliehen, wo er sich als Touristenführer und Apothekenhelfer durchschlägt.

Bald aber gelingt es Neuhoff, auf das diplomatische Parkett zurückzukehren: er wird kaiserlicher Berichterstatter in Florenz, mit dem Auftrag, die politischen Entwicklungen in Italien - und auf Korsika zu erkunden.

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[Musik: Voceru. 0:24 cut out: Corsica - Traditional Songs and Music, Jecklin-Disco JD 650-2]

3:01  

Die Korsen, die zu dieser Zeit unter einer fast fünfhundert Jahre währenden Besetzung durch Genua leiden, finden in dem westfälischen Glücksritter einen Hoffnungsträger für ihren Freiheitskampf - und sie wählen ihn im April 1736 zu ihrem König.

Doch nach nur acht Monaten - militärische Rückschläge stellen sich ein, das Geld wird knapp - begeht Neuhoff einen verhängnisvollen Fehler:

3:37  

und daran ist er wahrscheinlich auch gescheitert, daß er in einem entscheidenden Moment, wo die Korsen ihn zum König gewählt hatten, daß er in dem entscheidenden Moment, wo es darauf ankam, das auch - jetzt nicht gesellschaftlich - darzustellen, sondern im Volk, in der Politik und im Lande, daß er da sich selbst auf Wanderschaft begab, um Hilfskräfte zu mobilisieren.
[O-Ton Interview 0:38]

4:05  

Sein Versuch Hilfe für die korsische Sache zu organisieren scheitert.

Neuhoff muß nach London zurückkehren, diesmal bitterer noch verschuldet als beim ersten Mal - schließlich hatte er die unterlegenen korsischen Truppen weitgehend auf eigene Kosten, d.h. auf Kredit, ausgerüstet.

Genua wird wenige Jahre nach Neuhoffs Tod Korsika an Frankreich verkaufen, müde der ständigen Unruhen. Die Mittelmeerinsel selbst ist bis heute nicht zu Ruhe gekommen - und Neuhoff?:

4:34  

Tja, ich meine, er ist gescheitert und hat doch ein Leben gelebt, mit dem er zufrieden sein konnte - und wahrscheinlich auch war.
[O-Ton Interview 0:11]

Dieser Beitrag wurde zuerst gesendet am 10.12.1999, am Vorabend des Todestages Neuhoffs, in 'Piazza' (Sendeplatz 'Grenzgänger') des WDR Funkhaus Europa.
Die O-Töne sind einem Interview entnommen, dass ich mit Herrn Hans D. Mittorp im Sommer 1999 geführt habe. Für seine Geduld bei der Beantwortung meiner Fragen sei ihm herzlich gedankt.
Mittorps Neuhoff-Biographie ist als Band 10 der Veröffentlichungen des Heimatbundes Märkischer Kreis erschienen:

Hans D. Mittorp: Theodor von Neuhoff. Cover

Hans Dietrich Mittorp: Theodor von Neuhoff. König von Korsika. Ein genialer Taktiker ohne Fortune. Altena: 1990. 207 S.

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